Restaurierung erster Eichenstuhl 2019
Diese zwei Armlehnstühle aus Eiche stammen noch von meinen Ur-Großeltern aus dem Raum Breslau, Oberschlesien, gebaut im Jahre 1889. Das Baujahr hatte sich mein Vater, geboren 1930,
als Kind gut merken können, weil es auch Hitlers Geburtsjahr war, und diese Jahreszahl im dritten Reich keine Randnotiz war, sondern wahrscheinlich dauernd Erwähnung fand. Meine Großmutter brachte die Stühle inklusive einiger anderer, größerer Eichenmöbel in ihre Ehe mit; wo und von wem diese jedoch genau gefertigt wurden, ist mir leider unbekannt. Aufgrund teils erheblicher Unterschiede zwischen beiden sehr ähnlich aussehenden Stühlen gehe ich von einer manuellen Fertigung durch eine Tischlerei aus, sicher bin ich mir aber nicht. Stiltechnisch sind sie wahrscheinlich der Gründerzeit zuzuordnen.
Die Stühle waren offenbar als Gebrauchsmöbel gedacht: mäßig verziert, nur in der Rückenmitte gepolstert, die Flachpolster mit einem zwar ansehlichen aber doch recht einfach gestalteten gelb-grünen Gobelin-Stoff bezogen. Um den schon etwas strapazierten Stoff vor weiterer Abnutzung zu schützen, oder möglicherweise auch aus ästhetischen Gründen wurde später der Stoff von einem Polsterer entfernt, unter das Polstermaterial gelegt und statt dessen braunes Kunstleder aufgezogen.
Ich hatte die Stühle mehrere Jahre eingelagert, da sie doch relativ stark durchgesessen und insgesamt schon reichlich wackelig waren. 2018 dann beschloß ich, die Stühle wieder auszulagern und zu restaurieren. Für den Polsterbezug entschied ich mich für ein schönes braunes, etwa 1,5mm starkes Wasserbüffel-Leder, von dem noch knapp anderthalb ganze Häute im Schrank lagen. Das Leder ist sehr offenporig, Feuchtigkeit kann also schnell einziehen, hinzukommend neigt es zur Verspeckung. Andererseits hat es aber einen wunderschönen Griff, eine ebenso schöne Struktur und fühlt sich auf der Haut einfach weit angenehmer als die meisten Glattleder an. Es sollte jährlich imprägniert werden, um es vor Feuchtigkeit zu schützen.
Der Urzustand, Sitz- und Rückenpolster schon entfernt. Auf den Stühlen die Rolle Wasserbüffel-Leder für den Bezug.
Mit Delta-Schleifer und viel Schleifpapier die oberste Schicht abgenommen. Das Eichenholz wirkt gleich viel heller, die Maserung kommt endlich zum Vorschein.
Fast fertig geschliffen. Lockere Streben wurden wieder mit Glutinleim befestigt. Zwei zusätzliche Buchenleisten zur Stabilisierung der Sitzfläche vorn und hinten eingesetzt.
Die erste Schicht Leinölfirnis ist aufgetragen. Auf das Rückenpolster habe ich probeweise mal den Gobelin-Stoff aufgelegt: so vielleicht sah der Stuhl bei seiner Lieferung vor 130 Jahren aus.
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Die Verzapfung des Stuhlgestells war teils etwas locker, aber glücklicherweise nichts heraus- oder abgebrochen. Zum Nachleimen wählte ich Gelatine als Glutinleim: die Gelatine in zwei Teilen Wasser auflösen, auf 60-70°C im Wasserbad erwärmen, die beiden zu leimende Holzteile ebenfalls gut erwärmen (Haarfön), den warmen Leim großzügig auftragen, Teile zusammenfügen und zwingen. Nach etwa einem Tag sind beide Holzteile dann ganz gut verbunden, vielleicht nicht so fest wie mit Weißleim, aber bisher ausreichend. Eine derartig verleimte Verbindung kann durch nochmaliges Erhitzen wieder gelöst werden.
Der Leinölfirnis feuert die Eiche sehr schön an. Der Glanz geht noch weg, die Feuerung, also das kontrastierende Herausheben der Maserung bleibt aber bestehen.
Der Kunstlederüberzug war schon sehr rissig und brüchig. Für die Polsternägel boten sich Nagelheber und Seitenschneider an.
Unter dem Polstermaterial fand ich zusammengelegt den wahrscheinlich ursprünglichen Bezug: ein hübscher Gobelin-Stoff.
Die alte Begurtung, 2x3-fach und schon ziemlich durchgesessen.
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Aufgrund des Alters der Stühle und ihrer Holzart fand ich vertretbar, die Oberfläche, egal ob das eine Lasur, Lackierung, Ebonisierung (schwarz gebeizt) oder was auch immer mal gewesen war, komplett runter zu schleifen und der Eiche einen neuen Schutzanstrich zu verpassen. Holzgegenstände, die ausschließlich innerhalb der vier Wände benutzt werden, schütze ich gern mit Öl, Leinölfirnis oder Bienenwachs-Öl-Gemischen. Keinen Lack, und nur selten Lasuren. Die Wahl fiel auf Leinölfirnis, weil das im Gegensatz zum Öl eine langanhaltend wasserabweisende Schutzschicht ausbildet.
Fun fact: sogar mit Stahlbürste vom Oberflächenrost befreite Bremssättel wie auch andere Fahrwerksteile pinsele ich gern mit Leinölfirnis ein, das kapselt Rostreste ein und verzögert die Bildung weitergehender Korrosion. Wenn der Firnis ganz getrocknet bzw. polymerisiert ist, kann er sogar gut überlackiert werden, sowohl mit normalem Lack (Spraydose, 1K und 2K) als auch Unterbodenschutz.
Die Kunstlederschicht, mit gefühlten 4-5 Milliarden Polsternägeln befestigt, konnte ich großteils einfach abreissen.
Der Sitzrahmen mit alter Begurtung.
Der rohe Sitzrahmen, zwar voller Nagellöcher, aber noch sehr stabil. Ich musste nur wenig nachleimen.
Neu verleimt, in jedes Nagelloch eine Spitze eines Zahnstochers geklebt, geschliffen und etwas Holzpaste aufgetragen.
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Für das Innere des Polsters verzichtete ich weitgehend auf "moderne" Materialien, und zog eher zeitgenössische vor. Also kein Schaumstoff, sondern Afrik (auch Afrique), Palmfasern. Kein Roßhaar; ich fand, das lohnt sich nicht. Von Polsternägeln nahm ich nach ersten Versuchen Abstand, war mir zu zeitintensiv, und griff statt dessen zur Befestigung der Polsterschichten am Rahmen zu einem einfachen Elektrotacker.
70mm breiter Jute-Gurt. Die Polsternägel ("Blaustifte") liess ich links liegen, der Elektrotacker war einfach praktischer. Einen Gurtspanner für die Polstergurte war schnell selbst angefertigt.
Die neue Begurtung der Sitzfläche. Die umgeschlagenen Gurtenden 6-mal kreuzweise festgetackert.
Auf der Begurtung kann man sogar schon recht angenehm sitzen.
Über den Gurten eine Schicht schweres Juteleinen angetackert. Ich hatte noch ein paar alte Postsäcke im Keller, man kann aber auch Kartoffelsäcke verwenden, Hauptsache stabil.
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Die Schichtreihenfolge beider Polster von unten aus gesehen:
- Nessel schwarz unter dem Rahmen
- auf dem Rahmen Jutegurte 70mm breit, Sitzfläche 3x3, Rücken 1x3 Gurte
- schweres Juteleinen (alter Postsack)
- am Rücken einfaches, auf der Sitzfläche gedoppeltes Afrik-Schnellpolster
- der alte Gobelin-Stoff locker aufgenäht
- Polsterwatte
- Nessel schwarz
- Bezug aus Büffelleder
Viele Informationen und Details zu solch einer Flachpolsterung konnte ich dem Fachbuch von Karl Nothhelfer, "Das Sitzmöbel", Ravensburg 1941 entnehmen, dort insbesondere das Kapitel "Technik des Polsterns" ab Seite 71. Ein Großteil der verwendeten Polstermaterialien habe ich beim Raumausstatterbedarf Michael Scholz in Köln bestellt.
Nochmal der alte Gobelin-Stoff auf der Sitzfläche. Wäre der nicht so zerschlissen, hätte ich mir überlegt, den statt des Leders als Bezug zu verwenden.
Sitzfläche mit Juteleinen.
Afrik-Schnellpolster zweimal zugeschnitten und Faser auf Faser gelegt.
Beide Schichten mit unbehandeltem Leinenzwirn vernäht.
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Das fertige Doppelpolster.
Das Polster an das Juteleinen drunter genäht.
Wie im Buch von Nothhelfer erwähnt das Polster mit Schlaufenstichen vernähen.
Nochmal das Sitzpolster mit Gurten, Juteleinen und Afrik-Schnellpolster.
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Im originalen Rückenpolster fand ich ebenfalls den alten Bezugsstoff. Am Rücken nur ein einziger Gurt.
Unter dem Bezug eine Art Faserbefüllung, ich schätze ebenfalls Palmenfasern.
Der Rückenbereich war zudem auch nur flach gepolstert.
Das alte Juteleinen des Rückenpolsters.
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Um die Polstermitte etwas flacher zu halten, auch in der Mitte ein paar Garnierstiche durch Afrik, Juteleinen und Gurte.
Die Stiche von unten.
Den Rückenrahmen ebenso verleimt und mit Zahnstochern "befüllt" vor der Begurtung.
Den Rahmen einspannen, ein Ende des Gurtes befestigen, mit dem Spanner den Gurt stark spannen, 2-mal festtackern, abschneiden, umschlagen und wieder die sechs Kreuze auftackern.
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Der Rückenrahmen ist leicht konvex gebogen, deshalb habe ich alle drei Quergurte nur unter den Längsgurt gespannt.
Auch hier als zweites die Schicht Juteleinen.
Das Juteleinen wird an den Rändern natürlich erst umgeschlagen und dann festgetackert.
Selbst im Rohzustand sitzt man schon erheblich besser als auf dem alten, verschlissenem Polster.
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Den alten Goblin-Bezug habe ich als Schicht zwischen Afrik und Polsterwatte gelegt und am Rand leicht vernäht.
Die Naht soll nur den Bezug zwischen beiden Schichten fixieren, mehr nicht.
Nochmal der alte Gobelin-Bezug über der neuen Polsterung.
Über Afrik und altem Bezug die Polsterwatte, etwa 1,5cm dick.
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Die Watte unten in den Sitzrahmen getackert.
Ich habe fertige Polsterwatte-Matten genommen, und deshalb nicht hunderprozentig überall die gleiche Polsterhöhe erreicht.
Sitzrahmen von unten. Man sieht sehr schön die eingeleimten Zahnstocher :)
Als vorletzte Schicht jetzt schwarze Nessel, um den Rahmen umgeschlagen und unten festgetackert.
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Die vorderen Ecken des Sitzrahmens haben einen kleinen, etwa 1,5x1,5cm grossen, quadratischen Ausschnitt für die vorderen Sitzbeine.
Diese Innenecken (hier unten) machten die Lederbespannung reichlich interessant.
Das Polster baut relativ hoch, etwa 5cm inklusive Rahmen. Dafür ist der Sitzkomfort hervorragend.
Auf dem Rückenpolster nur eine Lage Afrik.
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Ebenfalls mit Schlaufenstichen mit dem Juteleinen vernäht.
Auf der Zielgeraden: unten fehlt nur noch der Lederbezug, oben Polsterwatte, Nessel und Leder.
Das Afrik des Rückenpolsters wird ebenfalls mit den Gurten versteppt.
Weit flacher als das Sitzpolster.
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Auch hier unter der Polsterwatte der alte Gobelin-Stoff.
Die Polsterwatte unten auf den Rahmen getackert.
Als vorletztes der schwarze Nessel-Bezug.
Auch ohne abschließendes Leder ist der Stuhl schon eine Augenweide.
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Das Rückenpolster vor dem Lederbezug.
Sieht dicker aus als es wirklich ist: ca 3cm ohne Leder.
An manchen Klammern kann man sehen, wie hart teilweise das Holz ist; der Tacker hatte manchmal so seine Probleme.
Das Sitzleder ist aufgezogen.
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Fast faltenfrei, wegen der erwähnten Ausschnitte vorn ist ein wenig Faltenwurf entstanden.
Erst nach dem Beziehen entdeckte ich eine suboptimale Stelle am Leder (oben links). Das Leder ist nicht wirklich dünner dort, hat aber mehr Falten und eine unschöne Stelle.
Hier kann man die Problem-Ecke ganz gut sehen: das nicht sehr dünne Wasserbüffel-Leder war relativ schwer um diese Ecke zu formen.
Der erwähnte Faltenwurf. Bin trotzdem zufrieden.
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Der Lederbezug von unten. Im Nachhinein hätte ich wegen der Lederdicke die Rahmenseiten etwas abhobeln sollen, das resultierende Polster passt nur noch knapp in den Stuhl.
Das Leder für das Rückenpolster.
Das Rückenteil war um Längen leichter aufzuspannen, einzig die Rundung oben erforderte etwas mehr Sorgfalt.
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Trotzdem sieht die Rundung des Polsters durchaus akzeptabel aus.
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Als letzter Arbeitsschritt des Rückenteils eine Bespannung hinten mit schwarzem Nessel-Bezug.
Das fertig eingesetzte Rückenteil. Nice.
Der fertige Stuhl. Unter dem Sitzrahmen fehlt nur noch der Nessel-Bezug.
Vielleicht setze ich hinten auch noch eine Lage Leder drauf, der Optik halber. Bin mir aber noch nicht sicher.
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Da der Stuhl mich hoffentlich überleben wird, schnell noch einen Zettel mit Herkunft, Namen und Restaurationsdatum unter dem Sitzpolster einlegt.
Der untere Nesselbezug. Dicht am Rand vertackert, damit man von unten hoffentlich die Klammern nicht sehen kann.
Das fertige Sitzpolster.
Der Stuhl von unten. Man beachte, wie wenig die unbehandelte Buchenleiste hinten durch den Leinölfirnis befeuert wurde, und wie schludrig ich überschüssigen Firnis abgewischt habe.
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Neu gegenüber Alt: der fertig restaurierte Eichenstuhl. Nächste Restaurierung dann erst im Jahr 2149 wieder.
Der zweite Stuhl folgt später. Ich bin am Überlegen, ob ich über den Firnisanstrich nochmal ganz dünn Hartöl zum Auspolieren aufbringe...
Ein weiterer Eichenstuhl, ohne Armlehnen, voll gepolstert, noch das 130 Jahre alte Leder. Das Leder habe ich gereinigt, mit Öl aufgefrischt, die Eiche geschliffen und mit Firniß geschützt. An eine volle Restaurierung traue ich mich momentan aber noch nicht.
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